Konzept

Die Entwicklung von KI-Technologie findet in geschlossenen Expertenzirkeln statt. Für die meisten Menschen bleibt KI eine abstrakte „Blackbox“ – schwer verständlich und noch schwerer mitzugestalten.

Vom Konsum zur Mitgestaltung

Diese Lücke führt zu einem Problem: Wenn die Menschen, die eine Technologie nutzen sollen, nicht an deren Gestaltung beteiligt sind, laufen wir Gefahr, Lösungen zu entwickeln, die an den realen Bedürfnissen vorbeigehen oder wichtige gesellschaftliche Werte missachten. Hier setzt das KI-Toolkit an. Es basiert auf der Überzeugung, dass Technologieentwicklung ein demokratischer Prozess sein muss. Das Toolkit dient als „methodische Brücke“ zwischen Laien und Expert*innen. Es übersetzt komplexe technische Konzepte in ein greifbares, spielerisches Format und ermöglicht so eine echte Ko-Kreation auf Augenhöhe. Das KI-Toolkit ist ein moderierter Workshop-Prozess, der ein physisches (oder digitales) Kartenset als zentrales Werkzeug nutzt. In einer kleinen, diversen Gruppe werden die Teilnehmenden in etwa 90 Minuten bis 3 Stunden, Schritt für Schritt von einem vagen Problem zu einem konkreten, reflektierten KI-Konzept geleitet.

Von Abstrakt zu Konkret

Die Methode zerlegt die komplexe „Blackbox KI“ in verständliche Bausteine, die als Kartenstapel repräsentiert werden. Anstatt über abstrakte Algorithmen zu sprechen, diskutiert das Team über greifbare Funktionen und deren Auswirkungen.

Vom Problem zum Konzept

Ziel dieses Methode ist es nicht, fertigen Code zu schreiben oder komplexe Architekturen zu entwerfen. Das Ziel ist ein gemeinsames Verständnis und ein robuster Konzept-Prototyp. Am Ende eines Workshops hält jedes Team eine visualisierte, ganzheitliche Idee in Händen – oft in Form eines Storyboards. Dieses Konzept beschreibt klar das gelöste Problem, die genutzte Datenlogik, die Interaktion zwischen Mensch und Maschine und die wichtigsten ethischen Überlegungen. Es ist die Grundlage für Pitches, Projektanträge oder die erste technische Spezifikation.

Hintergrund

Das KI-Toolkit greift auf mehrere wissenschaftliche Konzepte zurück, um eine Brücke zwischen Laien-Expertise und technologischem Design zu schlagen.

  • Co-Design und Hands-on-Activities (HoA)
    Im Kern ist das KI-Toolkit ein Instrument des Co-Designs, das auf dem Prinzip der „Hands-on-Activities“ basiert, dem „Denken mit den Händen“. Die physischen Karten fungieren als „soziale Objekte“, die eine gemeinsame Sprache zwischen Teilnehmenden mit heterogenem Vorwissen schaffen. Dieser Ansatz senkt die Hemmschwelle zur Kreativität und ermöglicht es, komplexe Systemideen schnell zu visualisieren und zu diskutieren, ohne auf technische Fachsprache angewiesen zu sein. Die Rolle der Entwickler*innen und Forscher*innen wandelt sich dabei von alleinigen Schöpfer*innen zu Moderator*innen eines kollaborativen Prozesses.
  • Strukturierte Kreativität und Demystifizierung
    Das KI-Toolkit zerlegt den abstrakten Begriff „KI“ in einfache konzeptionelle Bausteine. Der Unterschied liegt in der Verschiebung der Leitfrage: Statt „Welches Ding soll smart werden?“ lautet sie nun „Welche Entscheidung soll unterstützt werden und auf Basis welcher Datenmuster?“. Dieser Fokus auf die Logik von Daten → Mustererkennung (Lernziel) → Interaktion/Nutzen macht die Funktionsweise von KI-Systemen für Laien nachvollziehbar und gestaltbar.
  • Value-Sensitive Design (VSD)
    Das KI-Toolkit integriert ethische Reflexion in den frühesten Phasen des Designprozesses und folgt damit den Prinzipien des Value-Sensitive Design. VSD besagt, dass menschliche Werte wie Fairness, Autonomie und Datenschutz von Beginn an proaktiv in die Technikgestaltung einfließen müssen. Das KI-Toolkit setzt dies durch die Reflexions-Karten praktisch um. Fragen zu Bias, Nachvollziehbarkeit und Datenschutz sind somit kein nachträglicher Prüfschritt, sondern ein Bestandteil der Ideenfindung.

Die Karten

Die Karten sind die zentralen Bausteine des KI-Toolkits. Sie machen abstrakte KI-Konzepte greifbar. Jede Karte repräsentiert eine wichtige Entscheidung im Designprozess.

Kontext

Persona

Geben der Idee ein Gesicht und erinnern uns daran, für wen wir designen.

Beispiele: Smart City, Gesundheit & Pflege, Bildung & Lernen, Mobilität & Logistik, Umwelt & Landwirtschaft, Produktion (Industrie 4.0), Verwaltung (GovTech), Finanzen & Versicherung, Retail & E-Commerce, Kultur & Medien.

Szenario

Definieren das Spielfeld.

Beispiele: Bürger:in, Patient:in, Schüler:in, Landwirt:in, Stadtplaner:in, Sachbearbeiter:in, Ärztin, Logistiker, Entwickler:in, Fabrikarbeiter:in, Manager:in.

Mission

Legt das übergeordnete Ziel oder den angestrebten Wert der Idee fest.

Beispiele: Autonomie steigern, Effizienz verbessern, Ressourcen schonen, Sicherheit erhöhen, Lernen erleichtern, Zugang vereinfachen, Transparenz schaffen, Nachhaltigkeit fördern

Input, Motor, Output

Datenquellen

Zeigen an, mit welchen Daten die KI arbeitet.

Beispiele: Bilder (Fotos, Satellitenbilder), Video (Kamera-Stream), Audio (Sprache, Geräusche), Text (Dokumente, E-Mails, Social Media), Tabellendaten (Statistiken, Excel), Sensordaten (Temperatur, Bewegung, GPS), Nutzer-Input (Klicks, Formulareingaben).

Interaktion

Beschreibt, wie der Mensch das KI-Ergebnis auf einer digitalen Oberfläche erhält.

Beispiele: Dashboard (Grafiken, Karten), App-Benachrichtigung (Push), Chatbot / Sprachassistent, Text-Zusammenfassung, E-Mail-Entwurf, API (Schnittstelle zu anderer Software), Visuelle Markierung (z.B. Rahmen um erkanntes Objekt).

Interaktion

Beschreibt die physischen Schnittstellen.

Beispiele: Input: Kamera, Mikrofon, Taster, GPS-Modul, Ultraschall-Sensor.
Output: LED (Statuslicht), Display (Textanzeige), Lautsprecher (Audio-Warnung), Motor / Servo, Greifer (einfache Robotik), Schloss.

KI-Lernziel

Definiert die Kernfähigkeit der KI.

Beispiele: Klassifikation (Etwas kategorisieren, z.B. „Spam/Kein Spam“, „Hund/Katze“) – Prognose (Einen Wert vorhersagen, z.B. „Temperatur morgen“, „Verkaufszahlen“) – Generierung (Etwas Neues erschaffen, z.B. „Text schreiben“, „Bild malen“) – Erkennung (Etwas finden, z.B. „Objekte im Bild“, „Anomalie im Datenstrom“) – Empfehlung (Etwas vorschlagen, z.B. „Nächstes Lied“, „Passendes Produkt“) – Clustering (Dinge gruppieren, z.B. „Kundensegmente finden“)

Reflexion

Reflexion

Dient der Auseinandersetzung mit kritischen Themen.

Beispiele:

  • Fairness & Bias (Wird jemand systematisch benachteiligt?)
  • Erklärbarkeit (XAI) (Können wir verstehen, warum die KI so entscheidet?)
  • Datenschutz (DSGVO) (Sind die Daten sicher und die Nutzung legitim?)
  • Transparenz (Weiß der Nutzer, dass er mit einer KI interagiert?)
  • Robustheit (Funktioniert die KI auch bei Störungen oder falschen Inputs?)
  • Nachhaltigkeit (Wie viel Energie verbraucht das Training/der Betrieb?)

Das Karten-Board

Das Karten-Board ist die zentrale Arbeitsfläche während des Workshops. Es dient als visuelle Anleitung, die das Team durch die einzelnen Schritte des Prozesses führt.
Die ausgewählten Karten werden in den dafür vorgesehenen Zonen platziert. Dadurch wird die entwickelte Idee für alle im Team sichtbar und strukturiert. Der „Storyboard“-Bereich dient abschließend dazu, das Konzept als Drehbuch zu skizzieren und die Anwendungsgeschichte zu erzählen sowie den Pitch vorzubereiten.

Stärken

I. Komplexitätsreduktion

Das KI-Toolkit kann helfen, den „magischen“ Charakter von KI zu dekonstruieren und sie in kleinere Einheiten und ein verständliches Vokabular zu überführen. Diese Zerlegung entspricht kognitiven Chunking-Prinzipien und reduziert cognitive load, ein wichtiger Faktor bei der Arbeit vor allem mit älteren Erwachsenen, die möglicherweise weniger technische Vorerfahrung haben.

Die sequenzielle Prozessstruktur (7 Phasen) schafft einen geführten Entdeckungsprozess, der schrittweise Komplexität aufbaut. Dies steht im Gegensatz zu überfordernden „offenen“ Workshops und entspricht bewährten Praktiken im scaffolded learning

II. Demokratisierung von Gestaltung

Das Toolkit folgt zentralen Co-Design-Prinzipien:

Symmetrische Handlungsfähigkeit
Durch die Externalisierung von Wissen auf physischen Karten wird technisches Expertentum temporär neutralisiert. Alle Teilnehmenden, unabhängig von Bildungshintergrund oder digitaler Literalität, können Karten kombinieren, diskutieren und visualisieren. Dies adressiert das in der Forschung dokumentierte Problem asymmetrischer Machtverhältnisse zwischen Designern und Nutzenden.

Niedrigschwellige Artikulation
Die haptische, spielerische Natur der Methode ermöglicht die Artikulation von Bedürfnissen ohne Abhängigkeit von verbaler Eloquenz oder technischem Vokabular. Dies ist besonders relevant für heterogene Gruppen und entspricht dem Prinzip der „Hands-on-Activities“, das sich in der partizipativen Forschung mit älteren Menschen als effektiv erwiesen hat.

III. Ethik als integraler Bestandteil

Die Ethik-Reflexionsphase (Phase 6) ist ein wichtiger Prozessschritt. Sie verschiebt ethische Überlegungen von einem nachgelagerten „Add-on“ zu einem zentralen Designschritt. Dies entspricht der Forderung nach „Ethics by Design“ und steht im Gegensatz zu technikzentrierten Ansätzen, die Wertfragen marginalisieren.

Die vereinfachte Darstellung auf Karten übersetzt abstrakte Konzepte in diskutierbare Dimensionen und erfüllt damit eine zentrale Anforderung des Value sensitive design.

Limitierungen

I. Die Illusion technischer Machbarkeit

Eine fundamentale Spannung besteht zwischen der Niedrigschwelligkeit der Ideation und der Hochschwelligkeit der Implementation. Das Toolkit generiert Konzepte, deren tatsächliche technische Realisierung von möglicherweisen erheblichen Ressourcen, Expertise und Zeit erfordert. Die Methode liefert Konzeptprototypen. das sollte klar kommuniziert werden.

Risiko enttäuschter Erwartungen
Wenn die im Workshop entwickelten Ideen nicht in tatsächliche Produkte münden – und die Forschung zeigt, dass dies häufig der Fall ist – kann dies zu Frustration und Zynismus gegenüber partizipativen Prozessen führen.  Deshalb die Warnung vor „leerer Partizipation“ : Ohne klare Kommunikation über die Grenzen der Mitgestaltung und ohne verbindliche Implementierungszusagen droht das Toolkit zu einem Instrument symbolischer, nicht substanzieller Beteiligung zu werden.

II. Epistemische Vereinfachung und Verzerrung

Die Kartenkategorien sind notwendigerweise reduktionistisch. Reale KI-Systeme existieren in komplexen soziotechnischen Gefügen, die sich nicht vollständig auf innerhalb eines einfachen Toolkits abbilden lassen.

Lernziel-Karten als exemplarisches Problem
Die Reduktion maschinellen Lernens auf zu wenige Kategorien (Klassifikation, Prognose, Generierung, Erkennung, Empfehlung, Clustering) verschleiert die technische Komplexität, algorithmische Vielfalt und die oft hybriden Architekturen realer KI-Systeme. Dies könnte zu naiven Konzepten führen, die technisch nicht umsetzbar sind.

Gefahr der „Gamification“ ernster Probleme
Die spielerische Ästhetik könnte dazu führen, dass die existenziellen ethischen Dimensionen von KI (Bias, Diskriminierung, Autonomieverlust u.v.m.) trivialisiert werden. 

III. Fehlende Situierung in Machtstrukturen

Das Toolkit operiert auf der Mikro-Ebene individueller Workshops, ignoriert jedoch die Makro-Ebene struktureller Machtasymmetrien in der KI-Industrie. Auch wenn ältere Menschen in einem Workshop Ideen entwickeln: Wer entscheidet letztendlich, welche Ideen umgesetzt werden? Wer kontrolliert die Daten? Wer profitiert ökonomisch?

Die Kritische Gerontologie würde hier einwenden: Ohne Adressierung dieser strukturellen Fragen bleibt Partizipation kosmetisch. Das Toolkit enthält keine Mechanismen zur Machtkontrolle oder -umverteilung nach dem Workshop.

IV. Problematische Voraussetzungen

Das Toolkit setzt implizit voraus:

Sprachliche Kompetenz
Trotz Haptik erfordern die Phasen verbale Diskussion und Argumentation. Menschen mit sprachlichen Einschränkungen (z.B. Aphasie nach Schlaganfall) oder nicht-deutscher Muttersprache könnten benachteiligt sein.

Gruppenkompatibilität
Die Methode funktioniert nur, wenn die Gruppendynamik positiv ist. Dominante Teilnehmende können den Prozess kapern, während introvertierte marginalisiert werden. Hier fehlen explizite Moderationshinweise.

Zeit
Die vorgeschlagene Minimalzeit von 90 Minuten ist für einen so komplexen Prozess ambitioniert bzw. voraussetzungsreich. Die Forschung zu partizipativen Projekten mit z.B.  älteren Menschen betont die Notwendigkeit längerer Zeiträume, häufiger Pausen und iterativer Prozesse. Dies gilt es bei der Ausgestaltung des Workshops zu bedenken.

Wichtig!

Folgende Szenarien sind nicht das Ziel des KI-Toolkits

  • KI als Pflicht im Pitch oder Story oder als „Showcase um jeden Preis“ → verfehlt die Möglichkeit KI nicht zu nutzen.
  • Überfrachtete Hardware und Robotik (Kamera-Gimbals, mobile Plattformen) → Kosten/Nutzen kippen.
  • „Black-box-Pitches“ ohne plausible Datenbestände, Label-Plan oder Governance → methodisch unsauber.
  • Das KI-Toolkit sollte nicht als Stand-alone-Lösung, sondern als Einstiegsmodul in einen längerfristigen, ressourcenintensiven Co-Design-Prozess verstanden werden. Seine wahre Stärke entfaltet es als Katalysator für Dialog und Bewusstseinsbildung. Nicht um strittigen KI-Einsatz zu kaschieren.

Tipps zur Durchführung

0. Grundsätzliches

  • Keine Methode ist für alle gleich gut. Zu viele Einschränkungen können die Sicht der Workshopteilnehmer*innen beeinträchtigen. Andererseits braucht es ein Mindestmaß an Struktur und inspirierenden Beispielen. Deshalb macht es Sinn, diese Methode soweit möglich, an die Teilnehmer*innen und ihre Kontexte anzupassen – ob Verwaltung, Bildung,  Zivilgesellschaft oder Wirtschaft. Bereits das Durchsuchen der Karten ohne strikte Anleitung könnte ein ausreichender Anreiz für kritisches und gemeinschaftliches Denken sein.
  • Manche Workshopteilnehmer*innen werden empfindlicher gegenüber Stress und Zeitdruck sein. Ebenso verhält es sich mit Einschränkungen: Einige können diese als störend empfinden, während sich andere nach mehr Struktur wünschen.

I. Anpassungen

  • Karten in Großdruck (mindestens 18pt)
  • Glossar mit Alltagssprache-Übersetzungen technischer Begriffe, visuelle Piktogramme ergänzend zum Text, Beispiel-Karten mit konkreten Szenarien statt abstrakter Kategorien.
  • Optionen für individuelle, schriftliche oder asynchrone Beiträge für Menschen, denen die Gruppensituation nicht liegt.
  • Die 90-Minuten-Version sollte als „Sprint“-Format verstanden werden, ergänzt durch ein „Deep-Dive“-Format über mehrere Sitzungen.

II. Integration einer Machtkritik

  • Vor Workshop-Beginn schriftliche Fixierung, welche Entscheidungen tatsächlich von den Teilnehmenden beeinflusst werden können und welche bereits gesetzt sind. Dies adressiert die Warnung vor symbolischer Partizipation.
  • Explizite Diskussion über Budgets und Timelines. Wenn Partizipation ernst gemeint ist, müssen Ressourcen für die Umsetzung der Ergebnisse bereitgestellt werden.

III. Explizite Moderationsrichtlinien

  • Techniken zur Sicherstellung, dass alle Stimmen gehört werden (z.B. „stummes Brainstorming“ mit Post-its vor verbaler Diskussion).
  • Konfliktmoderation: Umgang mit Meinungsverschiedenheiten oder dominanten Persönlichkeiten.
  • Strukturierte Pausen alle 45 Minuten, informelle Kaffeepausen als Beziehungsaufbau-Gelegenheiten.

IV. Theoretische Einbettung und Reflexivität

  • Toolkit-Dokumentation: Explizite Darstellung der theoretischen Grundlagen (VSD, Co-Design, Boundary Objects etc.) im Begleitmaterial, nicht nur als implizite Designentscheidungen.
  • Reflexionsprotokoll: Template für Moderatoren zur Dokumentation von Prozessbeobachtungen, Machtverhältnissen, entstanden Spannungen – als Grundlage für kontinuierliche Methodenverbesserung. 

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